Monatsarchiv für Februar 2008

23. Februar 2008

Von der heiligen, Eier legenden Wollmilchsau Fussball

Die nicht eben elegante Euro-Uhr auf dem Kornhausplatz in Bern zeigt es unübersehbar: Die Euro 08 rückt immer näher. Ein grosses Fest soll es werden, die Stadt überflutet mit Fussballfans, die über den neuen Bahnhofplatz richtung Altstadt strömen. Alle wollen sich ein Stück vom Kuchen abschneiden: BeizerInnen und Tourismusverantwortliche hoffen auf Rekordumsätze, in der Migros erfreuen neben anderen Extras sogar M’08-Äpfel mit weissem Schweizer Kreuz die Augen, obschon die UEFA von der Emsigkeit, mit der sich der orange Riese um die Fussballfans bemüht, nicht eben angetan ist.

Nicht eben angetan bin auch ich vom Rummel um den Ball. Nur zu gut habe ich die WM-Fans von 2006 in Erinnerung, die ihrer Freude nicht unmotorisiert mit einem Fest Ausdruck verliehen, sondern mit dem Auto die Strassen verstopften und mich mit Hupkonzerten in der Nacht aus dem Schlaf rissen - ich muss mich wohl glücklich schätzen, dass sie mich nicht gleich mit ihren schwenkenden Fahnen vom Velo gerissen haben… Angesichts der Tatsache, dass die EM im Gegensatz zur WM hier in meiner Stadt stattfinden soll, plagen mich deshalb langsam aber sicher unheilvolle Fantasien: in der Stadt kein Durchkommen mehr vor lauter Public Viewing, die Kinos geschlossen, das Aareufer übersäht von leeren Bierflaschen und ausnüchternden Fussballfans, die gemütlichen Gartenbeizen mit Fernsehern und Leinwänden jeglicher Grösse dekoriert.

Benedikt Weibel, der Euro-08-Delegierte des Bundesrats, rät im Bund-Samstaginterview von heute den Fussballmuffeln - seiner Ansicht nach handelt es sich um wenige Prozente der Bevölkerung - einen grossen Bogen um die Euro zu machen. Nicht ganz einfach, wenn frau mitten in der Stadt wohnt… Trotzdem will ich seinen Ratschlag befolgen, kratze mein Jahresferienpensum zusammen und werde mich im Juni von dannen machen.

Übrigens: nicht nur an der Ferienmesse im Januar habe ich etliche Leute mit ganz ähnlichen Plänen getroffen. Ob es etwa doch nicht so wenige sind, die vom “Volksfest” in die Flucht gejagt werden? Und zugegeben: Ein kleines bisschen Schadenfreude verspüre ich schon darüber, dass sich noch nicht einmal genügend freiwillige HelferInnen gefunden haben (Bund vom 17.2.08)…

9. Februar 2008

Itze längts!

Itze längts“, so der Name der Petition eines bürgerlichen Komitees in Bern: 22′800 Unterschriften für mehr Sicherheit und gegen Demonstrationen, Bettelei, Dreck und die offene Drogenszene. Im Visier hat das Komitee Drogenabhängige, randalierende Jugendliche und AusländerInnen und mögliche Kombinationen dieser Gruppen.

Dem kann ich nur entgegenhalten: Mir längts itze de ou. Mir reicht die Bettelei von Cablecom-Angestellten im Anzug, lieber gebe ich einem weniger schick angezogenen Bettler einen Fünfliber, als dass ich mir nur eine halbe Minute Cablecomgesülz anhören muss. Während Demonstrationen muss man sich bekanntlich mehr vor der Polizei als vor den Teilnehmenden fürchten. Der schädlichste Schmutz, sowohl für unsere Gesundheit als auch für die Umwelt, wird durch den motorisierten Privatverkehr verursacht.

Und zur Sicherheit: Ich habe wesentlich weniger Angst davor, nachts alleine zu Fuss die Stadt zu durchqueren als in der Stosszeit mit dem Velo. Während ich mich von den oben erwähnten Gruppen fast nie bedroht fühle, sehe ich mich fast täglich konfrontiert mit rücksichtslosen AutofahrerInnen, die die grundlegendsten Vortritts- und sonstigen Verkehrsregeln vergessen, wenn das Gegenüber auf dem Velo sitzt. In vielen Situationen kommt mir der Angstschweiss, und ich werde mir meiner Verletzlichkeit gegenüber dieser blechbewaffneten Mehrheit bewusst.

Ich kenne zwar die Statistiken nicht, aber ich bin ziemlich sicher, dass auch sie mir Recht geben würden in der Annahme, dass der Strassenverkehr wesentlich mehr Opfer fordert als drogenabhängige jugendliche ausländische Randalierer. Diese Gefahr wird zur Kenntnis genommen und akzeptiert und hat nicht den leisesten Aufschrei zur Folge. Ich nehme also an, dass nicht tatsächliche Verhältnisse zu oben stehenden Forderungen führen, sondern allein politische und wirtschaftliche Interessen: Der grosse Teil der wählenden und einkaufenden Bevölkerung ist nicht drogenabhängig, nimmt für sich aber die grenzenlose Mobilität mit dem Auto als persönliches unantastbares Recht in Anspruch.

Wie lange wollen wir uns diese von Eigeninteressen verdrehte Optik noch aufdrängen lassen? Wann wird es endlich nicht mehr als persönliche Freiheit jedes Einzelnen betrachtet, andere zu gefährden?

3. Februar 2008

Vom Kampf gegen Windmühlen

Manchmal komme ich mir vor wie eine alte verbitterte Frau, aber das war auch schon so, als ich noch ein Kind war. Es ist ja auch nichts falsch daran, eine alte Frau zu sein, nur am “verbittert” sollte ich noch arbeiten… Jedenfalls habe ich eine grenzenlose Fähigkeit mich aufzuregen: Ich rege mich auf über die Gratiszeitung .ch, die gegen alle unsere Aufforderungen, dies zu unterlassen, jeden Morgen bei uns im Eingang auf den Boden geschmissen wird. Ich rege mich auf über rücksichtslose AutofahrerInnen, die mir als Velofahrerin regelmässig den Angstschweiss ausbrechen lassen. Ich rege mich auf über die Offroader, die blitzblank geputzt eine einzelne Person durch die Stadt zur Arbeit fahren, ohne je eine Schotterpiste von Nahem gesehen zu haben. Ich rege mich auf über all die PolitikerInnen, die die Bevölkerung weder bevormunden noch in ihrer persönlichen Freiheit die Luft zu verpesten einschränken wollen, da die Klimakatastrophe ja eh übertrieben werde, wenn nicht gar eine Erfindung sei.

Und ganz besonders rege ich mich auf, wenn ich im Alltag und in den Medien Tag für Tag mit überholten, ungerechten und einengenden Geschlechterbildern und mit Diskriminierung konfrontiert werde, mich gleichzeitig aber immer wieder für meinen Feminismus rechtfertigen muss. Nein, ich mag Männer, ich habe auch noch nie einen Mann mit Tomaten oder faulen Eiern beworfen und ich lasse mir durchaus auch mal eine Tür aufhalten, aber ich will mich nicht damit abfinden, dass Frauen immer noch hauptsächlich über Aussehen, Sexualität und Mutterschaft definiert werden. Zwei Beispiele gefällig?

Richard Blackwell veröffentlicht alljährlich seine Liste der unmodischsten Frauen, und anstatt dass frau und man sich fragen würde, mit welchem Recht er diese Frauen so taxiert, wird bei gmx genüsslich darüber Bericht erstattet und nicht gegeizt mit wenig schmeichelhaften Attributen für diese weiblichen Promis. Für die Weltwoche sind nicht fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten u.ä. der Grund dafür, dass es zu wenig Frauen in Spitzenpositionen gibt, nein, die Frauen sind selber schuld, müssten sie doch nur ihre weiblichen Fähigkeiten besser einsetzen, sprich: sich hochschlafen.

Und da soll ich mich nicht aufregen??? In die Welt hinausschreien möchte ich all diese Fehlleistungen und Fehleinschätzungen unserer Gesellschaft, auf dass alle hinhören und wir gemeinsam daran gehen können, sie aus der Welt zu schaffen. Ich weiss, ich kämpfe gegen Windmühlen an, aber das ist immer noch besser als mich von meiner wütenden Energie von innen auffressen zu lassen. Und wer sagt denn, dass sich Windmühlen nicht eines Tages besiegen lassen?