Archiv des Tags ‘Tages-Anzeiger’

24. Oktober 2010

Lustlose und unantastbare Frauen

Im Juni im Magazin des Tages-Anzeigers: Ein Artikel über sexuelle Lustlosigkeit bei Frauen. Die Illustrationen (leider nur in der Printversion): Ziemlich nackte Frauen, die sich ganz und gar nicht lustlos vor Leserinnen und Leser räkeln. Der Zusammenhang zwischen Bildern und Text erschliesst sich zumindest der Leserin nicht, dem Leser mag er egal sein, solange er etwas fürs Auge hat (oder so zumindest die von mir vermutete Überlegung der Redaktion). Diesen Samstag im Magazin: Ein Artikel über sexuelle Lustlosigkeit bei Männern (leider online nicht lesbar) mit dem überaus originellen Titel “Männer sind im Bett die neuen Frauen”. Die Illustrationen: Auf der Titelseite der verpackte und völlig unerotische Schritt eines Mannes, im Text eine Frau, unten ohne, mit weissem Schleier, Schmollmund und roten Highheels -  eine Frau angeblich, “die zur Unantastbaren wird” (ich wollte ja schon immer wissen, wie eine Unantastbare aussieht - grobe Wissenslücke geschlossen).

Unantastbar

Unantastbar, Das Magazin 42/2010

Der Zusammenhang mit dem Text erschliesst sich der Leserin hier noch weniger als beim ersten Beispiel, aber auch hier kommt der Leser in Genuss eines visuellen Goodies. Besonders interessant: Der im Artikel zitierte Sexualmediziner Buddeberg erklärt die männliche sexuelle Lustlosigkeit als Weigerung angesichts “einer Übersättigung mit erotischen Reizen”. Gleichzeitig lässt aber die Magazin-Redaktion keine Gelegenheit aus, die Leser mit Bildern von nackten und allzeit bereiten Frauen aufzugeilen (oder, nach Buddeberg, eben auch abzutörnen) - ob’s zum Text passt oder nicht, ist nebensächlich, der Affront gegenüber den Leserinnen sowieso. Sex sells - und Sex bedeutet in den Medien und der Werbung nach wie vor nackte weibliche Objekte, die sich dem männlichen Subjekt präsentieren.

6. Juni 2010

Moderne Hexenjagd

Die Schweiz hat ein neues Feindbild, die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Bern. Hintergrund ist der von ihr herausgegebene Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache, ein Teil des städtischen Aktionsplans für Gleichstellung. Was eine solche Massnahme für Kommentare auf den Online-Foren auslösen kann, ist klar, schliesslich sind diese nicht bekannt als Intelligenzkonzentrat: “Muss ich jetzt Salzstreuerin sagen und das noch mit meinen Steuern bezahlen?” Wirklich erschreckend ist, dass der nationale Aufschrei von den Medien nach Kräften angeheizt wird, vermutlich um möglichst viele Klicks auf der Online-Ausgabe zu generieren. Um objektive Berichterstattung geht es dabei sicher nicht mehr, es fehlen nur schon jegliche Links zum Berner Sprachleitfaden, die Artikel könnten ja sonst als masslose Übertreibung entlarvt werden… Der Blick schreckt auch vor diffamierenden Lügen nicht zurück: das schon im Titel erscheinende “Elter”, das von der Stadt Bern an Stelle von Mutter oder Vater vorgeschrieben werde, findet sich im Berner Leitfaden gar nicht. Im sehr viel ausführlicheren Leitfaden des Bundes findet sich das Wort (das effektiv auch im Duden zu finden ist), allerdings nur als Beispiel für geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen (ohne Vorschriftscharakter) mit dem Vermerk “sehr selten”. Auch der Tagesanzeiger-Autor Daniel Foppa stellt sich absichtlich dumm, um möglichst empörte Kommentare zu provozieren: In seinem Artikel, der mitnichten als persönliche Meinung gekennzeichnet ist, bittet er die Leserinnen und Leser, “diese Spracherziehung à la Nordkorea”, “diesen höheren Blödsinn” mit lächerlichen Neuerfindungen ad absurdum zu führen, und führt gleich selber “Kindlifresserin-Brunnen” und “Bärinnengraben” als Beispiele an. Dass dem Lesepublikum nicht bewusst ist, dass es beim Berner Sprachleitfaden nicht um “Computerinnen und Computer”, “Personeriche” oder ähnliches geht, erstaunt nicht weiter, wenn aber Daniel Foppa es nicht besser wüsste, wäre er als Journalist eine Zumutung. Ansonsten täte er besser daran, die Hintergründe für solche Sprachregelungen zu beleuchten: Grammatikalisches und biologisches Geschlecht bei Personenbezeichnungen, für die ein Maskulinum und ein Femininum existieren, müssen übereinstimmen. “Der Bär” ist keine Personenbezeichnung, und der “Kindlifresser” auf dem Brunnen ist als Person effektiv männlich, mit seinen Beispielen macht sich Foppa also selbst lächerlich und nicht die Fachstelle. Es ist zu hoffen, dass dies der Tages-Anzeiger oder doch zumindest einige Leserinnen und Leser realisieren und daraus Konsequenzen ziehen. Als Wunsch bleibt mir, dass in dieser Diskussion auch noch Personen zu Wort kommen, die besser wissen, worum es geht, als der Durchschnittschweizer (90% der Kommentare sind von Männern geschrieben…) und so das von den Medien erschaffene Zerrbild noch ein wenig korrigieren können.